„Telemedizin “ hieß früher, Dr. Antje-Kathrin Kühnemann erklärt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in einfachen Worten, wie Otto Normalverbraucher einen Herzinfarkt erkennen und erste Hilfe leisten kann, oder erläutert den neuesten Stand der Forschung bei MS. Seitdem hat es einen Paradigmenwechsel gegeben, nicht nur in der Informationsvermittlung. Die weltweite Vernetzung und der Informationsaustausch quasi in Echtzeit bieten heute viel umfangreichere und vor allem auch interaktive Möglichkeiten, insbesondere für Patientinnen und Patienten – aber auch für Mediziner_innen.
Expertise aus aller Welt unterstützt bei schneller Lösungsfindung
Die Vorteile für Patienten sind offensichtlich: Die Möglichkeit, z.B. in unzähligen Foren auf umfassende Erfahrungen von zahlreichen Menschen bauen zu können, verspricht schnelle Hilfe oder zumindest Ratschläge für ein weiteres Vorgehen. Betroffene können ihre Sorgen und Nöte schildern und bekommen den Zuspruch, den sie so dringend benötigen. Allerdings laufen sie hier auch Gefahr, mit Halbwissen und unqualifizierten Informationen versorgt zu werden.
Daneben gibt es natürlich auch ganz seriöse Angebote wie z.B. die Internetauftritte von Fachgesellschaften und Selbsthilfeinitiativen. In der unübersehbaren Fülle ist es oftmals nicht einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wichtige Anlaufstellen sind hier die Initiativen des IQWiG Gesundheitsinformation.de und Patienten-Information.de, ein gemeinsames Angebot von Bundesärztekammer und kassenärztlicher Bundesvereinigung. So können sich z.B. chronisch- oder Krebskranke einfacher und umfangreicher informieren, Tipps und Erfahrungen austauschen und Ärzte empfehlen, usw. Patienten können Informationslücken schließen und ihr tägliches Leben mit der Krankheit leichter bewältigen.
Durch die relative Anonymität im Internet erfahren auch Krankheiten eine Öffentlichkeit und niedrigschwelligen Austausch, über die aufgrund gesellschaftlicher Tabuisierung „nicht gesprochen“ wird. Symptomgruppen, die medizinisch/wissenschaftlich (noch) nicht als Krankheit anerkannt sind bekommen hier einen Namen – und vor allem pragmatische Hilfe. So zum Beispiel bei der Histaminintoleranz: Hier ist die „praktische Hilfe“ in Foren und auf persönlichen Webseiten der medizinischen Versorgung durch Ärzte und Krankenkassen weit voraus, so dass Betroffene weitgehend ohne „offizielle“ Unterstützung Hilfe im Netz finden und schnell Besserung für ihre Symptome erfahren.
Von den Foren und Websites ist es nur ein kurzer Weg zu täglicher Unterstützung durch mobile Apps und telemedizinischen Anwendungen, und es verwundert nicht, dass auch die am besten bewerteten Medical Apps von Patienten, also von hochmotivierten Betroffenen entwickelt wurden. Dabei sind Medical Apps von Patienten erfolgreicher als „professionell“ entwickelte Medical Apps, denn sie liefern Unterstützung aus der Praxis für die Praxis. Für die Betroffenen wird der Umgang mit der Krankheit erheblich vereinfacht und sogar die Überlebenswahrscheinlichkeit kann sich dank Telemedizin erhöhen.
Ärzte sind selbst Nutzer – treten nach außen aber eher kritisch auf
In diesem Bereich – Information durch Dr. Google, Selbsthilfe-Foren, Medical Apps – tritt die Ärzteschaft häufig als Kritiker und Bedenkenträger auf und es entsteht so der Eindruck, Ärzte sorgten sich mehr um ihre „angestammten Expertisefelder“ als um pragmatisches Handeln. Dabei nutzen auch Mediziner_innen Google zur ersten Recherche und Angebote wie beispielsweise Findzebra, die eine größere Zahl von Fachquellen oder Spezialisten bündeln. Mit deren Unterstützung können insbesondere Krankheiten, deren niedrige Fallzahlen oder diffuse Symptome sie schwer erkennbar machen, möglicherweise erst identifiziert werden.
Die zunehmende Nutzung von Smartphones für gesundheitliche Fragestellungen oder Messungen von Vitalwerten und Körperdaten stellt die medizinischen Berufsgruppen vor völlig neue Herausforderungen. Nicht nur das berufliche Selbstverständnis sondern auch Aufgabenspektrum und Arbeitsweise werden sich anpassen müssen, denn hier werden unter nicht kontrollierbaren oder vergleichbaren Voraussetzungen enorme Mengen an Daten gesammelt, die bisher nicht zur Verfügung standen – und diese müssen erst einmal verarbeitet werden.
In den USA schon längst etabliert: Die App zum Arzt.
Die mobile Gesundheitsversorgung mit mobile Health-Apps ist in den USA schon heute weiter verbreitet und alltäglicher für Patienten und Ärzte als in Europa. So ist dort z.B. eine Bluttest-App im Einsatz, die über eine Linse direkt am Smartphone in wenigen Sekunden Blutzellen analysieren kann, eine technische Innovation, die den nächsten Quantensprung in der Versorgung in einem ganz globalen Sinne ankündigen könnte. Auf diese Weise wäre die Erkennung z.B. von Ebola-Erregern bei Betroffenen schnell und einfach möglich, selbst in abgelegenen Regionen ohne Arzt oder Klinik.
Und auch hierzulande nehmen manche Ärzte diesen Impuls bereits auf und starten ähnlich erfolgreich wie die Patienten ihre eigenen Apps, beispielsweise „Klara“ zur Ferndiagnose von Hautärzten.
Fazit:
Telemedizin und eHealth sind, bei allen technischen Herausforderungen, vor allem eine große Chance, um die medizinische Versorgung für alle zu verbessern. Sie ermöglichen mehr Transparenz und Interaktion sowohl zwischen Ärzten und Patienten als auch zwischen Fachpersonal und Verwaltung. Das beinhaltet aber auch mehr Teamwork zwischen den einzelnen Gesundheitsprofis und vor allem mehr Eigenverantwortung für Patienten. Gerade dabei wird der Arzt wieder zum ersten Ansprechpartner für seine Patienten werden: Er berät, welche moderne Technik sinnvoll ist und analysiert die ermittelten Daten, denn auch Zukunft gilt: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!