Traumberuf Arzt – oder eher Albtraum …
Mehr Zeit für den Patienten, weniger Bürokratie – das wünscht sich ein Großteil der Ärzte und Ärztinnen. Gerade die junge Medizinergeneration möchte wieder mehr am Patienten arbeiten und Raum haben zu forschen und sich weiterzubilden. In einem Positionspapier warnt das „Bündnis Junge Ärzte“ davor, dass immer mehr medizinische Möglichkeiten, der demografische Wandel mit einer immer älter werdenden Bevölkerung, die oft häufigere und teurere Behandlungen benötigen sowie der allgemeine Kostendruck immer weniger Zeit für die Patientenversorgung und Weiterbildung lassen.
Viele junge Menschen entscheiden sich gerade für den Arztberuf, um am und mit dem Patienten zu arbeiten. Leider kommt dieser Aspekt durch immer mehr Auflagen, umständliche Dokumentation und Verwaltungsarbeit oft zu kurz. Zusammen mit der großen Verantwortung und Arbeitsbelastung in den Kliniken sowie einer immer noch unzureichenden Unterstützung für Ärztinnen/Ärzte mit Familien wird das Gesundheitssystem als Arbeitgeber so immer unattraktiver. Das Resultat: weniger Nachwuchskräfte und damit noch mehr Defizite in der medizinischen Versorgung.
Moderne Krankenhaus-IT und eHealth helfen bei der Konzentration aufs „Wesentliche“
Laut einer US-Studie ist gerade das Pflegepersonal unzufrieden mit der oft benutzerunfreundlichen und Zeit fressenden Klinik-IT. Deutschland steht hinsichtlich Durchdringung, Nutzungsgrad und Vernetzung von Klinik-IT im internationalen Vergleich recht weit hinten. Unter den mit EMRAM (das European EMR Adoption ModelSM ist ein Gradmesser für die IT-Unterstützung im klinischen Alltag) Stage 7 ausgezeichneten Häusern in Europa ist zwar immerhin seit 2011 das Universitätskrankenhaus Eppendorf – in Stufe 6 findet sich jedoch kein einziges deutsches Haus. Auch die Akzeptanz der IT durch die Kliniker rangiert mangels Unterstützung im Workflow ebenfalls auf den hinteren Plätzen.
Damit Ärztinnen/Ärzte und Pflegepersonal sich wieder mehr auf das Wesentliche – die Patient_innen – konzentrieren können, müssen die IT-Systeme nicht nur effizienter, die Abläufe in der Klinik einfacher und die Nutzerfreundlichkeit der Systeme höher werden. Vielmehr ist eine Vernetzung der vielen Einzelsysteme untereinander und mit Stellen außerhalb des Krankenhauses notwendig. Dann kann sich erst das volle Potential der IT von elektronischer Abrechnung und Qualitätssicherung bis hin zu Risikoberechnung und Telemedizin entfalten. Die großen Vorteile, die durch eine Verbindung der vielen, verschiedene Datenquellen entstehen sind enorm. Nicht nur wird eine bessere und schnellere Kommunikation zwischen allen Beteiligten ermöglicht, Prozesse werden schlanker und transparenter, Mitarbeiter_innen werden entlastet, Kosten werden eingespart und eine umfassendere, individuellere und zielführende Patientenversorgung entsteht.
Doch leider haben sowohl Ärzte als auch Patienten oft immer noch große Vorbehalte gegenüber eHealth und Telemedizin. Ärzte befürchten mehr Aufwand, mehr Dokumentation und noch mehr Regulation. Viele Patienten fürchten um die Sicherheit ihrer Daten und fühlen sich überwacht. Beide Gruppen sind von der Wirksamkeit noch nicht gänzlich überzeugt, dabei ist Internetmedizin keine alternative Medizin, sondern die nächste Evolutionsstufe dessen, was wir alle zeitlebens kennengelernt haben, so Dr. Markus Müschenich Vorstand des Bundesverbandes Internetmedizin.
Schweden und USA als Vorbilder von App bis Aufgaben delegieren
In den USA werden schon längst eine Reihe von ärztlichen Aufgaben an geschultes Personal delegiert und pflegerische Aufgaben an geringer qualifizierte Assistenten, damit der gesamte Ablauf schlanker und kostengünstiger wird. Der Arzt/die Ärztin kann sich stattdessen um komplexere Aufgaben am Patienten konzentrieren, die ärztliches Expertenwissen und Erfahrung fordern.
In Schweden können Patient_innen per Onlinetest ermitteln, welche Erkrankung hinter ihren Symptomen stecken könnte. Diese 5-minütigen Tests wurden vom schwedischen Staat in Zusammenarbeit mit der königlichen medizinischen Universität Karolinska Institut entwickelt. Außerdem können sie schon heute auf eigene Kosten die verschiedensten Laboruntersuchungen in Auftrag geben. Wie zum Bäcker gehen sie einfach zur Blutabnahme in ein medizinisches Labor in ihrer Nähe und lassen sich dort z.B. Blut abnehmen. Die Auswertung ihrer eigenen Laborwerte erhalten sie anschließend auf einem Onlineportal, inklusive einer Experteneinschätzung dazu.
Der aktuelle Mega-Trend sind die sogenannten „Wearables“: Jeden Tag wird derzeit ein weiteres Gadget in der Presse vorgestellt, mit dem sich Temperatur, Puls, Sauerstoffsättigung, Schlafzeiten, Kalorienverbrauch usw. bequem und regelmäßig selbst am Handgelenk, in der Kleidung, als Aufkleb-Tattoo direkt auf der Haut und vielleicht bald den Blutzucker über die Kontaktlinse messen lassen.
Diese Langezeitdaten werden dann per App ausgewertet und im Cloud-Netzwerk gespeichert, so dass die entsprechenden Ärztinnen/Ärzte auf alle relevanten Daten zugreifen könnten. Die Zeitersparnis im Praxis- und Klinikalltag, die sonst für das Messen, Einpflegen und Aktualisieren dieser Vitaldaten verwendet werden müsste, könnte stattdessen mehr Zeit fürs Wesentliche schenken: das Gespräch zwischen Arzt und Patient und eine in Zukunft noch bessere Medizin.
Soweit die Utopie – in der Realität sind weder Gesetzgeber, noch Ärzteschaft, noch Krankenhäuser und auch nicht die Patient_innen vorbereitet auf die ungeheure Datenfülle und die damit einhergehenden Fragestellungen. Doch dieser Datentsunami kommt auf uns zu, und wir müssen uns jetzt damit auseinandersetzen und in den Dialog treten, anstatt zu versuchen mit Vermeidungsstrategien etwas aufzuhalten das schon längst angefangen hat